Kafka, Fremdheit

und sein Einfluss auf die persische Literatur

Von: Mahmood Falaki

 

Goethe&Hafis Verlag (Bonn), 116 Seiten

12 Euro

Inhaltsverzeichnis

TEIL I

  1. Einleitung
  2. Sozial-politische Lage der böhmischen Juden in Kafkas Lebensspanne …8
  3. Fremdheit in Kafkas Leben ……………………………………………………………11

3.1 Kafka und seine Familie ……………………………………………………………11

3.2 Kafka und seine Berufskonflikte …………………………………………….. 14

3.3 Kafka und seine Liebe zu Frauen ………………………………………………16

3.4 Kafka und das Judentum …………………………………………………………20

4. Darstellung der Fremdheit in Kafkas Erzählungen und Romanen ………..26

4.1 Interpretation der Erzählung „Der Jäger Gracchus“ ……………………. 28

4.2 Kafka: Die Verwandlung ……………………………………………………….35

4.2.1 Zusammenfassung der Novelle „Die Verwandlung“ ………….35

4.2.2 Interpretation der Novelle „Die Verwandlung“ ………………… 37

TEIL II

5. Kafkas Wirkung auf die moderne persische Literatur ………………………55

5.1 Die Entwicklung der modernen persischen Literatur (Erzählprosa)….55

5.2 Die sozial-politische Lage Persiens in Hedayats Lebensspanne ……..62

5.3 Die Lage der modernen persischen Literatur in jener Zeit …………….65

5.4 Sadegh Hedayat und Kafka ……………………………………………………66

5.4.1 Übersetzung von Kafkas Werken ins Persische ……………72

5.5 Bahram Sadeghi und Kafka ……………………………………………………..75

6. Schlusswort

……………………………………………………………………………………..79

7 Literaturverzeichnis …………………………………………………………………………..

8 Namenregister ………………………………………………………………………………….

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Einleitung

Die Revolution von 1848, die Deutschland erschütterte, wird als Sieg des Materialismus über Idealismus bezeichnet, denn „die letzte große Synthesis Hegelscher Prägung war zerbrochen.“ 1 Die Neuzeit entstand aus dem naturwissenschaftlich-technischen und dem soziologischen Denken. 2 Mit Hilfe der dominierenden Naturwissenschaft sollte die instrumentelle Vernunft die Herrschaft des Menschen und seinen endgültigen Sieg über die Natur herbeiführen. 3 „Der Mensch wird erkennendes Subjekt, das sich der zu erkennenden Welt als Objekt gegenübersetzt“. 4 Durch die Einseitigkeit der Naturwissenschaften und den englischen Empirismus, der sich mit Hume als moderne Philosophie präsentiert hatte, wurde die Welt auf ein Objekt technisch-mathematischer Forschung reduziert. 5 Die Vernunftgläubigkeit, welche Erbe der Aufklärung ist, und der Aufschwung der Naturwissenschaft „trieb den Menschen in die Tunnel spezialisierter Disziplinen“ 6, wobei der Mensch allmählich „die Ganzheit der Welt und auch sich selbst aus den Augen verlor“, was Heidegger (1889-1976), ein Schüler Husserls, ‚Seinsvergessenheit‘ nennt. 7

Der Mensch wird zum Objekt der Technik, der Politik und der damit verbundenen “bürokratischen“ Komplexität, wodurch er sich von seiner Umwelt entfremdet oder wie Adorno (1903-1969) den subjektzentrischen Ordnungsstatus der Neuzeit betrachtet: „Die absolute Subjektivität ist zugleich subjektlos. Das Selbst lebt einzig in der Entäußerung; als sicherer Rest des Subjekts, der vorm Fremden sich verkapselt, wird er zum blinden Rest der Welt.“ 8

Einige Philosophen wie Nietzsche (1844-1900) setzten sich mit der aufklärerischen Tradition, mit den Machtgeflechten der modernen Gesellschaft auseinander, was sich an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verstärkt. Husserl (1859-1938), unter Einfluss von Franz Brentano (1838-1917) 9, wandte sich gegen den Psychologismus, die Einseitigkeit der Naturwissenschaften und die Folgeerscheinungen des Empirismus, wobei er zeigt, dass „der individuelle psychische Denkakt (Noesis) wohl zu verschieden ist vom objektiven Denkinhalt (Noema)“. 10 Das Ergebnis war der Relativismus, der Versuch einer Anerkennung der Heterogenität und die Besinnung auf die Kernidee des Modernisierungsprozesses, nämlich die Freisetzung des Individuums aus den sozial-politischen, ökonomischen und ideologischen Kontexten. 11

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Anfang des 20. Jahrhunderts ist nicht nur von raschen wissenschaftlichen Entdeckungen und technischen Erfindungen geprägt, sondern auch von sozial-politischen Spannungen, Kriegen und Unabhängigkeitsbewegungen, wie z. B. in Italien, Polen und in Preußen, wo Bismarck das deutsche Reich zu schaffen versuchte. 12

Franz Kafka (1883-1924) als ein moderner Europäer war nicht nur vom Modernisierungsprozess ergriffen, in dem er seine Individualität, sein Eigen, verloren fühlte, sondern als deutsch-jüdischer Böhme geriet er auch in eine besondere gesellschaftlich-politische Situation, in der ihm die Fragwürdigkeit seiner Existenz bewusst wurde.

Kafka lebte in einer Zeitspanne, in der durch die staatliche Freiheit der Juden und den wirtschaftlichen Aufschwung eine große Abwanderung der böhmischen Juden, darunter auch Kafkas Familie, in die ‚liberalen‘ Städte erfolgte 13, wodurch sie ihre Söhne auf deutsche Schulen und Universitäten schicken konnten. 14 Obwohl die jüdischen Intellektuellen in der tschechischen Autonomiebewegung gegen die österreichische Monarchie mitkämpften, wurden sie nie als richtige Tschechen angenommen. 15

Der in Prag geborene und aufgewachsene Kafka litt unter der Judenfeindschaft der Umgebung und fühlte sich fremd. Das Gefühl der Fremdheit wird auch durch die strenge Erziehung in seiner Familie bewirkt, wobei das Schuldgefühl und die Opferrolle des Judentums von großer Bedeutung ist. Dieses Gefühl ist auch auf anderer Ebene, sowohl in seinem Beamtenberuf, als auch in seiner Beziehung zu Frauen, vorhanden. Mit anderen Worten: Seine Versuche, sich den anderen zu nähern, scheitern immer daran.

Auf der Suche nach seiner Identität, seinem Eigen bzw. seinem freien Ich – nicht nur als Jude, sondern auch als moderner Europäer – stiess er immer wieder auf die Unmöglichkeit der Kommunikation, die ihn mehr und mehr in die labyrinthische Irrfahrt und in die absolute Fremdheit drängte.

Die folgende Arbeit ist zum Einstieg in die Thematik in zwei Teile gegliedert:

Im ersten Teil wird der Versuch gemacht, in zwei unterschiedlichen Kapiteln Fremdheit in Kafkas Werken zu erörtern. Im ersten Kapitel wird die Fremdheit in seinem Leben anhand seiner Werke, vor allem der Tagebücher und Briefe, außerdem an biographischen Details untersucht, wobei seine Beziehungen zu seiner Familie, seinem Beruf, zu Frauen und dem Judentum im Vordergrund stehen.

Im zweiten Kapitel wird die Fremdheit in seinen Romanen und Erzählungen untersucht, indem zwei bestimmte Erzählungen, nämlich „Der Jäger Gracchus“ und „Die Verwandlung“, interpretiert werden. Bei diesen Interpretationen versuche ich Kafkas künstlerische Welt nicht auf eine faktuelle Wirklichkeit zu reduzieren, d.h. die fiktionale Wirklichkeit nicht zum Ausdruck der psychischen Befindlichkeit des Autors zu verkürzen. Ich versuche Fremdheit durch die Verhältnisse der Handelnden und die Rahmenkonstruktion der Geschichte, bzw. durch die in der erzählten Welt angelegten Voraussetzungen zu veranschaulichen, ohne jeglichen Zurückgriff auf das wirkliche Leben des Autors.

Im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit geht es um Kafkas Wirkung auf die moderne persische Literatur. Es wird von einigen Interpreten oder Literaturkritikern Kafkas Einfluss auf den iranischen Schriftsteller Sadegh Hedayat (1903-1951) festgestellt, bzw. sie versuchen ähnliche Merkmale bei beiden nachzuweisen. Ob es einem Schriftsteller möglich ist, in einer ganz anderen kulturell-gesellschaftlichen Situation, in einer Gesellschaft, deren Modernisierung gerade erst begonnen hat, wie Kafka zu schaffen, soll untersucht werden. Dazu versuche ich zunächst die Entwicklung der modernen persischen Literatur (Erzählprosa) zusammen mit den sozial-politischen Gegebenheiten in Hedayats Zeitspanne in Persien zu erläutern. Dann wird der Versuch unternommen, Hedayats Werke, vor allem seinen bekanntesten Roman „Die blinde Eule“, mit Kafkas Werk zu vergleichen. Hinzu kam eine Untersuchung zur Übersetzung Kafkas ins Persische und Kafkas mögliche Wirkung auf die kommenden Generationen iranischer Autoren.

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1 Vait Valentin: Deutsche Geschichte. Bd. II. München/Zürich 1965, S. 497

2 Johannes Hirschberger: Geschichte der Philosophie. Bd. II: Neuzeit und Gegenwart. Freiburg 1960, S. 442

3 Vgl. Adorno und Horkkeimer: Dialektik der Aufklärung. In: Gesammelte Schriften 3. hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 1981, S. 19f

4 Peter Engelmann (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart 1990, S. 14

5 Vlg. Hirschberger: Geschichte der Philosophie, S. 442 und Milan Kundera: Die Kunst des Romans. Aus dem Französischen von Brigitte Weidmann. Franfurt a. M. 1989, S. 11

6 Kundera; a.a.O., S.11

7 ebd.

8 Theodor W. Adorno: Aufzeichnungen zu Kafka. In: Gesammelte Schriften 10. I (Kulturkritik und Gesellschaft). hrsg. von Ralf Tiedemann. Frankfuet a.M. 1977, S. 275

9 Kafka interessierte sich für Brentanos Philosophie und besuchte eine Vorlesung Anton Martys, ein Schüler Brentanos, in Prag. Klaus Wagenbach: Kafka. 34.Aufl. Reinbek bei Hamburg 2000, S. 45

10 Hirschberger, S. 595

11 Peter Engelmann (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart 1990, S. 8

12 Valentin: Deutsche Geschichte. S. 475 und S. 510 ff

13 Klaus Wagenbach: Kafka. S. 15f

14 Hartmut Binder (Hg.): Kafka Handbuch. Stuttgart 1979, S. 3

15 Christoph Stölzel: Kafkas böses Böhmen. München 1975, S. 33

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